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4 Oktober 2024

In der Ostsee soll ein ehrgeiziges Tunnelprojekt die Wirtschaft zweier Inseln ankurbel

In der Ostsee verspricht ein gigantisches Straßen- und Eisenbahnprojekt, den Handel zwischen Deutschland und Dänemark zu erleichtern. Für die Bewohner der Inseln Lolland und Fehmarn soll die neue Infrastruktur die angeschlagene Wirtschaft wiederbeleben.

Mads Keller Isaksen - Katja Petrovic

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In der Ostsee soll ein ehrgeiziges Tunnelprojekt die Wirtschaft zweier Inseln ankurbel
Die Bewohner hoffen, dass durch den Tunnel wieder neue Unternehmen in die Region kommen | Mads Keller Isaksen

Auf den Inseln Lolland (Dänemark) und Fehmarn (Deutschland)

2021 begann in der Ostsee ein außergewöhnliches Projekt: der Bau eines Unterwassertunnels, der nach seiner Eröffnung – hoffentlich im Jahr 2029 – mit einer Länge von 18 Kilometern der längste der Welt sein wird. Damit soll eine neue Eisenbahn- und Straßenverbindung zwischen Dänemark und Deutschland geschaffen werden, die die Fahrzeit zwischen Hamburg und Kopenhagen von viereinhalb auf zweieinhalb Stunden verkürzt. Ein weiteres Ziel ist – und vielleicht ist das sogar das wichtigste – die Wirtschaft der beiden Inseln Lolland (Dänemark) und Fehmarn (Deutschland) wieder anzukurbeln. Mit einem Budget von 8 Milliarden Euro und einem Zeitplan, der sich über 30 Jahre erstreckt, hat dieses ehrgeizige Projekt erhebliche Auswirkungen auf die örtlichen Gemeinden, ist aber auch nicht frei von Umweltbedenken.

Finanziert wird der Tunnel größtenteils von Dänemark; die Europäische Union (EU) beteiligt sich mit 1,1 Milliarden Euro daran. Die grenzüberschreitende Region, bekannt als Fehmarnbelt, gilt seit 2006 als Euroregion, was eine Zusammenarbeit der lokalen Gebietskörperschaften voraussetzt, die durch das Interreg-Programm der EU unterstützt wird.

Eine Gemeinschaftsinitiative, die insbesondere den grenzüberschreitenden Verkehr erleichtert und dazu geführt hat, dass der Bau des Tunnels vorgezogen wurde, damit er einen echten Mehrwert für die regionale Entwicklung bringt. Für die Bewohner der Inseln ist der Tunnel jedoch mehr als nur eine Infrastruktur: Er ist ein Rettungsanker für ihre schwächelnde Wirtschaft.

Anders Wede, um die 40, Ingenieur aus Rødbyhavn sieht das Projekt als Chance, seiner Heimatstadt wieder zu altem Ruhm zu verhelfen. Die einst belebte Hauptstraße ist heute mit „Zu verkaufen“-Schildern übersät – ein Symbol für den Niedergang. Für ihn ist es ein persönliches Projekt, mit dem er seine Gemeinde wieder aufbauen will.

Der Verlauf der Fehmarnbelt-Brücke | Bowzer via Wikimedia Commons.

Die deutsche Stadt Puttgarden auf der Insel Fehmarn steht vor einem weiteren Problem: Sie verzeichnet einen deutlichen Rückgang ihrer jungen Bevölkerung. 2021 hat die Altersgruppe der 0 – bis 29-Jährigen nur 24% der Inselbevölkerung ausgemacht, was etwa 3.100 von insgesamt 13.000 Einwohnern entspricht.

Der 26-jährige Lasse Stiehr gehört zu den wenigen jungen Menschen, die noch auf der Insel leben. Er hofft, dass der Tunnel das Problem der Jugendmigration eindämmen wird und die Insel dann besser angebunden ist, indem der Zugang zu größeren Städten wie Kopenhagen erleichtert wird.

Der Nährboden der Gesellschaft

Während Europa mit einer zu starken Urbanisierung kämpft, könnte der Tunnel das Schicksal dieser Gemeinden zum Guten wenden, indem er neue Möglichkeiten für Wachstum und Nachhaltigkeit schafft. So spielen Infrastrukturprojekte wie der Fehmarnbelt-Tunnel eine wesentliche Rolle, nicht nur, weil sie Reisen erleichtern, sondern auch, weil sie die wirtschaftlichen und kulturellen Landschaften der Regionen prägen.

Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betont, bilden die ländlichen Gebiete den „Nährboden unserer Gesellschaft“, was die Bedeutung solcher Projekte für die Erhaltung der Vitalität dieser Regionen verdeutlicht.

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Zwei riesige Industriehallen wurden gebaut, um die Betonschichten für den Unterwassertunnel zu produzieren | Mads Keller Isaksen.

Laut einem Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2021 sind zwar 80% der Gebiete der EU ländlich geprägt, doch nur 30% der Bevölkerung leben auch dort. Ursula von der Leyen weist auf die katastrophalen Folgen hin, die sich aus einem solchen Ungleichgewicht ergeben könnten, darunter ein Rückgang der Beschäftigung und die Abwanderung junger Menschen aus diesen Regionen.

Viel zu selten achten wir auf die Infrastruktur, die uns umgibt – genauso wenig, wie wir an unseren Blutkreislauf oder unsere Atmung denken. Wir leben in einer hyperglobalisierten Gesellschaft und sind uns der Bedeutung von Straßen, Zügen und Tunneln nicht bewusst. Doch tatsächlich brauchen Kultur und Wirtschaft solche Infrastrukturen, um Grenzen überqueren zu können.

Mit der zunehmenden Urbanisierung Europas laufen wir laut Ursula von der Leyen Gefahr, „den Motor unserer Wirtschaft“, d. h. die ländlichen Gebiete zu verlieren. Um diese Probleme besser zu verstehen, muss man sich nur die beiden Inseln Lolland und Fehmarn ansehen.

Neue Dynamik

In Rødbyhavn treffen wir Anders Wede, der gerade in die Kantine geht. Während er auf seine Lasagne wartet, begrüßt er eine Frau am Nachbartisch. „Ich war mit Marianne in der Schule. Hier sind viele Leute, die mit mir in einer Klasse waren“, sagt er und setzt sich. Für ihn und viele andere, die in Rødbyhavn aufgewachsen sind, hat die Arbeit am Fehmarnbelt-Projekt eine besondere Bedeutung. Seine Eltern wohnen immer noch in der Stadt und seine Schwester arbeitet im Hotel am Hafen, das heute als Büro für das Projektteam dient. Dennoch hat Rødbyhavn heute nichts mehr mit der Stadt zu tun, die er einst kannte. „Wenn man mit ansehen muss, wie das eigene Haus und die eigene Stadt verfallen, möchte man alles wieder so aufbauen, wie es einmal war.” Anders Wede hofft daher, dass er seinen Kindern die Stadt wieder so lebendig zeigen kann, wie er sie selbst als Kind erlebt hat.

Heute ist die Fähre das einzige Verkehrsmittel, um von der deutschen Insel Fehmarn in die dänische Stadt Rødbyhavn zu gelangen | Mads Keller Isaksen.

In Puttgarden steht derweil Lasse Stiehr am Hafen und wartet auf einen LKW für die Lieferung von Teilen für den Bau des Tunnels, der auf deutscher Seite bereits weit fortgeschritten ist.

Wenn die Besucher mit der Fähre von Rødbyhavn auf der Insel Fehmarn ankommen, werden sie von leuchtend gelben Rapsfeldern und den Schreien der Möwen begrüßt. Lasse Stiehr, der auf Fehmarn aufgewachsen ist und noch immer dort lebt, war bei der Entstehung des Projekts dabei; „Als Inselbewohner habe ich die Entwicklung aus nächster Nähe verfolgt. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Projekt der gesamten Region zugutekommen wird. Aber noch toller ist, dass es direkt vor meiner Haustür stattfindet.“

Investition in die Zukunft

In der Cafeteria eines Hotels in Rødbyhavn wartet Anders Wede auf sein Mittagessen: „Ich glaube nicht, dass Rødbyhavn durch den Tunnel zur Durchgangsstadt wird.“ Seiner Meinung nach wird er der Kleinstadt und der Gemeinde Lolland auch noch lange nach Abschluss des Projekts zahlreiche Möglichkeiten eröffnen. Er betont jedoch, dass die Politiker jetzt, solange noch Zeit ist, unbedingt handeln müssten, damit diese Vorteile auch der Gemeinde nutzen.

„Wir alle hoffen, dass unsere Politiker jetzt rasch handeln.“ Anders Wede zufolge ist es entscheidend, Projekte zu starten, die die bereits auf Lolland tätigen Arbeitskräfte mobilisieren. Dadurch werden die Menschen dazu gebracht, in der Gemeinde zu bleiben, was wiederum Investoren anzieht.

Rødbyhavn war einst ein großes Fischerdorf. Überreste dieser Vergangenheit sind an einigen Stellen der Hafenstadt noch sichtbar | Mads Keller Isaksen

Für Lasse Stiehr muss man zwischen dem Problem und der Lösung unterscheiden. Er sieht in dem Tunnel die Möglichkeit, mehr junge Menschen nach Fehmarn zu locken. Denn dieser würde es ihnen erleichtern, Kopenhagen zu erreichen und dort eine Arbeit zu finden. Er glaubt, dass sich Fehmarn dadurch völlig verändern wird. Die Jugendlichen werden erkennen, dass es sich lohnt, auf dem Land zu leben und in Kopenhagen oder einer anderen Großstadt zu arbeiten, die näher als Hamburg liegt.

Der 26-Jährige ist stolz darauf, Teil dieses Projekts zu sein. „So kann ich den Leuten später einmal sagen, dass es hier früher ganz anders aussah und Dänemark nicht nur zehn Minuten mit dem Auto entfernt war, wir das damals aber geschafft haben.“